"Wir müssen endlich das Wohlergehen der Menschen in den Mittelpunkt unseres Wirtschaftssystems stellen, statt der Gewinnmaximierung Einzelner"
Annalena Baerbock am 20.11.12
Ich habe mich sehr gefreut, als Annalena Baerbock diesen Satz am ersten Tag der Bundesdelegierten-Konferenz sagte. Endlich betonte eine führende Politikerin mal wieder, was das eigentliche Ziel unserer Wirtschaft sein sollte und kommt damit einem Versprechen nach, das auch im deutschen Grundgesetz verankert ist. Dort steht unter Artikel 14: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."
Dieser Satz bildet die Grundlage der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung, die sich mittlerweile seit 10 Jahren für einen Wandel in unserer Art und Weise zu Wirtschaften einsetzt. Auch ich bin seit einigen Jahren in dieser Bewegung aktiv.
Im Folgenden will ich kurz erläutern, was sich hinter der Idee der GWÖ verbirgt. Alternativ enthält das folgende Video eine kurze Zusammenfassung.
Wo wir derzeit stehen...
Es ist eine schlichte Tatsache, dass unsere derzeitige Art zu Wirtschaften letztendlich dazu führt, dass wir mehr und mehr unseren Planeten ausbeuten. Allzu deutlich wird dies am Earth Overshoot Day, der das Datum angibt, an welchem die natürlichen Ressourcen, die wir jedes Jahr zur Verfügung haben, aufgebraucht sind. Im Jahr 2020 war dies Corona-bedingt der 22. August im Jahr davor war es noch der 29. Juli gewesen.
Gleichzeitig wird auch immer klarer, dass wir unseren Planeten nicht nur ausbeuten, sondern durch unsere Art zu Wirtschaften auch immer mehr verschmutzen und die ökologischen Kreisläufe zunehmend an ihre Belastungsgrenzen stoßen.
Neun globale Prozesse sind es, die die Widerstandskraft und die Belastungsgrenzen des Planeten bestimmen. Internationale Wissenschaftler um den schwedischen Professor Johan Rockström veröffentlichten erstmals 2009 das Konzept der Planetaren Grenzen (engl. Planetary Boundaries), das Aussagen über die Erdgesundheit und die Lebensgrundlagen der Menschheit treffen kann. Status quo: Der Mensch greift in die eng vernetzten Prozesse ein und vier der neun Grenzen sind bereits bedrohlich ausgereizt.
Wir müssen unser Wirtschaftssystem also grundlegend überdenken. Und hier helfen uns die Ideen dern Gemeinwohlökonomie (GWÖ).
Eine Wirtschaft, die dem Menschen und der Natur dient?
Die Gemeinwohlökonomie ist eine Reformbewegung, die 2010 in Österreich von Christian Felber und einer Gruppe von Unternehmern begründet wurde. Was mich an der Gemeinwohlökonomie begeistert ist, dass sie nicht „revolutionär“ sondern „evolutionär“ agiert und im bestehenden Wirtschaftssystem anwendbar ist. Heute wird sie bereits von über 2.000 Unternehmen, mehr als 6.000 Privatpersonen, rund 200 Vereinen und mehr als 60 Politiker*innen überwiegend in Österreich,Deutschland und Spanien unterstützt. Und auch im hier in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg gibt es seit einigen Jahren eine GWÖ-Regionalgruppe, die bereits die ersten Unternehmen zu einer Gemeinwohl-Bilanzierung überzeugen konnte.
Was ist eine Gemeinwohlbilanz?
Die Gemeinwohlbilanz ist das „Herzstück“ der GWÖ (siehe unten). Sie misst unternehmerischen Erfolg in einer neuen Bedeutung. Es werden neben der klassischen Finanzbilanz also Werte wie Schaffung von gesellschaftlichen Nutzwerten, Bedürfnisbefriedigung, Sinnstiftung, Teilhabe aller, Mitbestimmung, Geschlechterdemokratie, ökologische Nachhaltigkeit und Lebensqualität gemessen und vergleichbar gemacht. Die Gemeinwohlbilanz ist somit ein konkretes, umsetzbares Instrument für Unternehmen und Organisationen aller Größen und Rechtsformen.
Zudem wurde sie 2015 vom Sozial- und Wirtschaftsausschuss der EU als Indikator für den seit 2017 verbindlichen Nachhaltigkeitsbericht anerkannt und hat somit gute Chancen, als Top-Standard einer „Ethik-Bilanz“ für die nationalen Richtlinien betrachtet zu werden.
Als Koordinator der GWÖ-Regionalgruppe bin ich regelmäßig im Kontakt mit Unternehmen, die sich gemeinwohlbilanzieren lassen und mir wird von diesen mitgeteilt, dass die Auseinandersetzung mit dem GWÖ-Prozess einen tiefgehenden ethischen Management- und Motivationsprozess im Unternehmen bzw. der Organisation ausgelöst hat. Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie ist es die Rahmenbedingungen unserer Marktwirtschaft so zu ändern, dass es sich für Unternehmen auch finanziell lohnt ökologisch, fair und transparent zu wirtschaften.
Die Gemeinwohl-Ökonomie in Baden-Württemberg
2016 wurde die GWÖ erstmalig im grün-schwarzen Koalitionsvertrag begrüßt. Und in der letzten Legislaturperiode wurde auch der Landesbetrieb ForstBW, der größte Forstbetrieb unseres Landes erstmalig gemeinwohlbilanziert.
Wir Grünen werden das Thema Gemeinwohl-Ökonomie auch in der kommenden Legislaturperiode auf unsere Agenda setzen und haben das Ziel zehn weitere Landesbetriebe gemeinwohlbilanzieren zu lassen.
In unserem Wahlprogramm fordern wir des Weiteren:
Gemeinwohlökonomie fördern – zum Wohl für alle
Auch die Gemeinwohlökonomie wollen wir stärken. Dafür wollen wir im Wirtschaftsministerium eine Anlaufstelle für Gemeinwohlökonomie (GWÖ) schaffen und auch landeseigenen Institutionen und Unternehmen der GWÖ eine besondere Beachtung schenken. Alle Unternehmen, die eine Gemeinwohlbilanz erstellen, sollen leichte Zugänge zu Fördermitteln erhalten. Wir starten ein eigenes Förder- und Beratungsprogramm für Genossenschaften, Sozialunternehmen und gemeinnützige Unternehmen sowie für Formen der Solidarischen Landwirtschaft, um deren Aufbau und Entwicklung zu erleichtern. Wir wollen Sharing-Konzepte unterstützen und eine landesweite digitale Tausch- und Verleihplattform auf den Weg bringen. Gründer*innenzentren sollen Mittel erhalten, wenn sie einen Teil ihres Angebots für Social Entrepreneurs und Soziales Unternehmertum freihalten.
Wir wollen eine soziale Innovationsstrategie für Baden-Württemberg entwickeln und so auch bessere Finanzierungsinstrumente für Sozialunternehmen schaffen.